Tag 10 Ferch nach Berlin 56km

Veröffentlicht am 8. Juni 2021 um 19:48

Wie langsam kann man Radeln? Die heutige Tour nach Berlin kann man gar nicht genug genießen. Die angepriesene Omega Wetterlage scheint da zu sein. Keine Sorge um Regen und es gibt auf absehbare Zeit Sommer Temperaturen. Hier im Kiefernwald auf dem Camping ist bereits die Waldbrandstufe HOCH erreicht, so dass ich den Gaskocher für den Morgenkaffee eigentlich nicht am Zelt anfeuern darf. Ist aber schnell gemacht und ich sitze ja dabei. Schon mal die erste illegale Aktion am Tag. 

Ich genieße es, jeden Tag anders frühstücken zu dürfen. Heute mal unter den Kiefern. Es gibt Dosenfisch mit Tomantensoße und die Schusterjungs (Brötchen) aus dem Campingkiosk. Kurze Irritation beim Herbergsvater, der den Fisch verkauft, ob der seltsamen Tageszeit für diesen Genuß. Mir ist es egal. 

Mal sehen, ob Rainald Grebe mit seinem Lied "Brandenburg" Recht hat. Ich bin ja erst kurz hier, aber quere das Bundesland ja heute Richtung Hauptstadt. Nein Rainald, es ist hier ganz anders. Die heutige Etappe ist unglaublich schön. Der Speckgürtel von Berlin scheint ein einziger Park zu sein. Wer Fahrradfahren aus den Münsterland kennt, wird hier am den perfekten Wegen nichts zu mäkeln haben. Wald, Seen, Villen, alles da. 

Ich entdecke an einer alten Kirche mein Motto für die Reise. Die Kirchturmuhr hat keine Zeiger. So fühle ich mich. Die Geschäfte haben auf, es scheint kein Sonntag zu sein. Es ist hell, es scheint keine Nacht zu sein. Es ist warm, es scheint kein Winter zu sein. Unglaubliche Freiheit! Bitte, bitte verschafft Euch auch ein bisschen davon, fahrt nach Sachsen Anhalt, fahrt nach Brandenburg oder wohin auch immer. Alles nichts großes, aber in Summe überwältigend. Kommt mit dem Fahrrad. Es gibt keine bessere Reisegeschwindigkeit. Mit dem Auto fährt man vorbei, zu Fuß dauert es einfach zu lange. 

Werder, Havel, ich frage mich, was wäre, wenn es hier jetzt regnen würde. Aber egal, die Sonne scheint und mit den vielen Seen könnte es hier auch Mittelmeer sein. 

Potsdam, wer wäre hier zu den Seen mit dem Auto extra hingefahren? Es fällt auf, dass hier die Bikes wieder cooler werden (aufgrund der Nähe zu Berlin natürlich) und dass schon mächtig was los ist. Mal einfach anhalten ist nicht mehr ohne eindringliches Klingeln von Radfahrkollegen möglich. Ich radel hier so durch und bin fast zu Tränen gerührt, dass alles so perfekt läuft.

Über die Glienicker Brücke geht es wieder in den ehemaligen Westen. Jetzt fahre ich hier einfach rüber. Früher unmöglich, außer man war Spion und wurde hier in hochoffiziellen geheimen Aktionen von Ost nach West und umgekehrt ausgetauscht. 

Immer noch kein Verkehr, ab zum Wannsee und in den Grunewald. Hier wird noch CO2 produziert. Hoch gehts auch und ich stelle fest, das ich nicht der schwächste am Berg bin. Ich verfolge und hole auch schnell einen Mann auf Rollerblades ein. Er bittet mich, ihn zu ziehen. Klar sage ich, aber er winkt doch ab. Er möchte sich sein Weißbier gleich im Biergarten selbst verdienen. Endlich hat alles wieder auf. Ja, ich und alles anderen schwimmen auf der Corona Öffnugswelle. Und alle sind froh. Was vor Tagen noch undenkbar gewesen war, geht jetzt endlich wieder. Ein tolles Gefühl. 

Auf einer Anhöhe mit Blick auf den Wannsee wartet ein Turm auf mich.  Der Grunewaldturm, errichtet zu Ehren von Kaiser Wilhelm. Man kann ihn besteigen. Hierzu muss man sich im Restaurant melden. Da ich der einzige Interessent bin, schließt die einzige Thekenkraft aus dem Restaurant auf. Ich solle, wenn ich fertig bin, eine extra dafür installierte Klingel betätigen. Hoch, Aussicht genießen, die Skyline Berlin in 10 km Entfernung ist zu sehen und wieder runter. Klingeln......klingeln und warten, klingeln. Ich bin eingesperrt. Klingeln. Nach 20 Minuten werde ich mit entsprechender Entschuldigung freigelassen. Es ist alles noch ungewohnt nach Corona - für alle.

Berlin kommt. Und endlich wieder ehrliche Geräusche von Krankenwagen und Autoverkehr. Die Luft riecht nicht mer nach Sauna oder Bärlauch, sondern nach Verbrennungsmotor. Schnurgerade gehts es die letzten 10 Kilometer zum  Hotel durch deutsche Geschichte , abzulesen an den Straßennamen : Heerstraße, Kaiserdamm, Bismarckstraße, Straße des 17. Juni ...

Die Goldelse muss mit Selfie fotografiert werden, die Durchfahrt durchs Brandenburger Tor ebenfalls. Es erwartet mich mein Hotel für zwei Nächte. Morgen ist radelfrei! Das 4* Hotel Wallstreet gönne ich mir. Hier ist Wallstreet das Motto und im Zimmer ist der Teppich ein überdimensionierter Dollarschein mit George Washington als Abbild. Ob die hier in den letzten Monaten viel Profit gemacht haben, bezweifle ich, denn es ist nichts los. Auf Nachfrage bin ich jedoch scheinbar nicht der einzige Gast.

Ich mache mich fertig für das Abendprogramm. Ich habe mir vorgenommen, mir ein paar Craft Bier im Dolden Mädel in Kreuzberg zu gönnen. 45 Minuten zu Fuß entfernt. Ich stapfe los und nach 10 Minuten dauert es mir zu lange und überbrücke den Rest mit einem gemieteten E Scooter. Zum Glück habe ich es so gemacht und bin früher hier, denn ohne Reservierung ist es hier der letzte Platz. 

Die Abendsonne scheint und bierselig stelle ich fest, dass es mir nicht besser gehen könnte.

 

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Kommentare

Karl
Vor 3 Jahr

Hey Markus,
liebe Grüsse von dem schwachen Mann auf Rollerblades an der Steigung im Wald zwischen Pfaueninsel und Wannsee, auf deiner Etsppe am 10. Tag. Schön, dass Du diese unsere kurze Begegnung erwähnt hast. Das Weißbier nach meiner Tour tat gut.
Ich wünsche Dir viele solche
Wegstärkungen auf Deinem noch langen Weg.
Du wirst es schaffen !
Bleib gesund
Karl