Tag 16 Trzcianka Naklo nad Notecia 119km

Veröffentlicht am 14. Juni 2021 um 20:55

Mein Zimmerkollege von heute Nacht kam dann um 21 Uhr sturzbetrunken in den Schlafsaal. Ich habe so getan, als ob ich von den umfallenden Stühlen, herunterfallenden Duschkopf und sonstigen unkoordinierten Handlungen nichts mitbekomme und stelle mich schlafend. Er murmelt nur - auf Deutsch - scheiß Arbeit - 6 Uhr. Anscheinend will er noch mit mir kommunizieren. 30 Minuten später ist Ruhe. Die Unterkunft ist echt nett und sauber, aber das ohne Privatsphäre ist dann doch nicht mehr meins. Zudem wundere ich mich, dass er sich bereits um 3:30 für die Arbeit um 6 Uhr vorbereitet. Erst als er um 6 weg ist, schlafe ich noch ein wenig. Ich stelle mir vor, wenn hier noch 6 weitere beflissene polnische Arbeiter genächtigt hätten. 

Der Tag wird toll, das spüre ich. Und ich werde nicht enttäuscht. Es ist wie bei Immobilien, drei Dinge sind wichtig : das Wetter, das Wetter und das Wetter. Und natürlich die Strecke, die zum ersten Mal hier Polen wirklich phantastisch ist. Leere Nebenstraßen, die mit der Bewaldung an die Promenade zuhause an Münster erinnert. Es geht immer schön auf und ab auf makellosen Straßen. Mischwald anstatt Kiefern Monokultur. Aber eine Sache geht mir doch durch den Kopf. Die Planung heute sieht 100km vor. Das ist so meine Schmerzgrenze. Leider führen die letzten 20km über eine rote Straße. Auf der Straßenkarte sieht man Auf- und Abfahrten und zweispurige Straßenführung wie bei einer Autobahn. Ich werde mir die S10 ansehen, wenn es kurz vor Schuss soweit ist. Bis dahin lege ich die Sorgen beiseite. Als Alternative gäbe es eine 20km weitere Strecke. Beim Blick auf den Tageskilometerzähler sei schon mal verraten, die S10 werden mir too much sein. Es ist halt nicht Sonntag. LKW fahren.

Fast erwische ich eine Maus, die von links nach rechts genau die Lücke zwischen den Fahrradreifen trifft mit ähnlicher Präzision, wie die polnischen Autofahrer. Dann fährt ein Mähroboter neben mir auf dem Fahrradweg, der wohl vom Rasen ausgbückst ist. Dann steht mitten auf dem Weg ein Fuchs, der schnell das Weite sucht. Ist halt immer was los. 

Pila, ehemals Schneidmühl, kommt und ich tanke im Supermarkt mit dem Marienkäfer als Logo auf. In der Kirche zünde ich drei Kerzen für meine Familie an. Weiter gehts traumhaft an einem Flußauf entlang, bis zu einer neuen Fahrradstrecke direkt an der Eisenbahn. Diese ist nagelneu und nicht mal auf meinen digitalen Karten von OpencycleMaps vorhanden. Eine Seltenheit. Hier war die EU wieder mit den Subventionen unterwegs. Dieser ist angelegt wie die Topographie es hergibt, ein tolles Intervalltraining auf perfektem Untergrund. Ich finde das Ding mit der EU echt klasse.

Ich quere ein erstes Mal die S10 und denke, das wird nichts. Aber hier gibt es eine tolle Alternative direkt am Berghang mit tollem Blick auf eine Talebene. Heute ist alles schön. An einer Steigung gesellt sich ein Radrennfahrer zu mir. Er spricht englisch und das macht einiges einfacher. Ich frage nach der S10. Er nimmt mir jede Hoffnung. Also werden es wohl 120km. Ich muss nur zusehen, dass ich um 18 Uhr frisch geduscht im Hotel für das bestimmt stattfindende Public Viewing des Polen Spiels bereit stehe. Ich gebe alles. 

Am Scheideweg zwischen Harakri und 120km entscheide ich mich für Zweiteres. Gut so, denn der Weg ist schön ruhig und so komme ich durch Bagdad. Wohl nicht ganz die Kopie des Originals, aber beschaulich mit den ungefähren 20 Häusern. Und die Ankunftszeit mit 17Uhr ist noch passend für den Anstoß um 18Uhr.

So komme ich am Hotel ohne großartige Verkehrsstraßen an. Perfekte Stecke, alles ist Kontrast zu gestern, Wetter, Stecke und Unterkunft. Diese ist ein altes Industriegebäude, cool umgebaut und mit Café Del Mar Musik auf der Terrasse. Fußball kann man nur im Zimmer schauen. Vielleicht auch besser, Polen verliert.  

 

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