Tag 24 Kwidzyn Bydgoszcz 123km

Veröffentlicht am 22. Juni 2021 um 21:29

Die ersten drei Kilometer brauche ich keine Kurbelumdrehung. Ich rolle einfach aus Marienwerder raus. Das ist auch erst mal sehr gut, denn ich möchte spätestens am Samstag in Breslau sein. Dort treffe ich einen alten Arbeitskollegen aus meiner Zeit, wo ich die Niederlassung in Polen betreut habe. Es ist 22 Jahre her, dass ich den lieben Mariusz zum letzten Mal gesehen habe. Er hat mich zu sich nach Hause eingeladen, welch eine tolle Geste. Ich freue mich so, so dass ich Gas geben muss und die heutige Etappe mit über hundert Kilometern geplant habe. Ziel ist eine Unterkunft auf einem Bauernhof, ca. 20 km vor Bromberg, welches eigentlich nicht verpasst werden darf. Es muss früh losgehen, da spätestens ab Mittag Gewitter angesagt sind. Kein Wunder bei der Luft bereits um 8 Uhr morgens. Ich entsorge mein Gepäck durchs Fenster im Erdgeschoss um nicht alles wieder bei der Fischereibehörde vorbei schleppen zu müssen.

Es rollt gewaltig und ich fahre schon wieder ohne Shirt. Das wird mir an der ersten Steigung im Wald zum Verhängnis. Es summt und brummt immer mehr hinter mir. Eine ganzer Schwall von Insekten begleitet mich. Eine Angst einflößende Geräuschkulisse. Anhalten wäre noch schlimmer, so muss ich den immer länger werdenden Anstieg durchziehen. Ich werde ein wenig panisch und wedele hektisch mit meinem Shirt um mich. Ich hau mir fast die Kappe vom Kopf. Ich trete weiter aber die Dinger lassen sich mit dieser Geschwindigkeit in der Steigung nicht abhängen. Ich halte durch und behalte mindestens fünf Insektenstiche. Zugleich fahre ich durch Rollsplitt in aufgeweichten Teer. Hat was von Höllenfahrt. Aber auch das geht vorbei und es rollt wieder gewaltig. 

Ich komme in Graudienz an. Eingentlich als Industriestadt angekündigt. Für mich kommt sie aber mit tollen Radwegen und phantastischen Bicken auf das Weichsetal daher. Leider keine Zeit zum Anhalten. Ich fahre in die schwarze Gewitterwand. Es geht noch einige Zeit gut. Von einer Plattenbausiedlung auf dem Berg nehme ich laut Karte eine Abkürzung. Wenn nur der Singletrail das Problem sein soll, für mich machbar. Dann stehe ich aber vor einer langen, steilen Treppe. Dies war wohl der Grund für die eigentlich andere Streckenführung. Aber da muss ich durch. Das Rad samt Gepäck ist kaum zu halten, irgendwie komme ich aber heile unten an samt Rad. Die Höhenmeter wären auch eine klasse Abfahrt gewesen. 

Nun geht es raus aus der Stadt und der Himmel wird immer dunkler. Ich darf nun auf einem Damm fahren. Ich schaue nach möglichem Unterschlupf. Spielgeräten auf einem Spielplatz, Kirchen, in Bodennähe aufgestellte Solarkollektoren, Autobahnbrücke. Noch hält der Himmel dicht. Zum Glück fahre ich an einer Straße im Nirgendwo mit einer Buslinie. Alle paar Kilometer kommt ein Bushaltehäuschen. Nur erst mal nicht, als es dann doch anfängt. Ich werde naß und beziehe dann doch die nächste Haltestelle, sogar gegenüber einem kleinen Laden. Es gießt enorm und ich decke mich dort erst mal ein für die anderthalb Stunden Wartezeit. In den kleinen Sklep komme ich fast gar nicht rein, da dort entweder Inventur stattfindet oder die Wareneingänge der letzten Tage durch die schlecht gelaunte Verkäuferin verräumt werden müssen. Mein Wasser bekomme ich trotzdem.

Es hört tatsächlich auf zu regnen und es ist herrlich erfrischend in der Luft zu fahren. Es ist absolut windstill, und der Himmel sieht wieder passabel aus. 

Um genau 14 Uhr komme ich an eine Stelle, an der ich vor einer Woche schon mal war. Die Weichselbrücke beim Chelmo. Eigentlich mag ich es nicht Strecken doppelt zu fahren, aber die Neuplanung ließ es nicht besser zu. So muss ich 14 km in anderer Richtung nochmal fahren, bis ich entgültig dem R1 Abschied sage. Ich fahre gen Süden. Die Weichsel an sich ist immer noch breit und nicht tief. Hierzu hat der Regen auch nichts beitragen können. Ein Schiff, welches letzte Woche noch im Wasser festgemacht war, liegt nun mitten auf einer Sandbank.

Da es super läuft, sage ich dem Bauernhof ab und buche eine Unterkunft direkt in Bromberg. Weitere 20km sind kein Problem.

Ich merke jedoch, dass jenseits der 100 Tageskilometer die Kraft und Konzentration nachlassen. Leider kann ich nicht nur rollen, sondern muss wieder für 10km über einen Waldweg. Das war nicht geplant, und auch mein Freund, der Sand, ist wieder allgegenwärtig. Ich schliddere und holpere gen Ziel. Zu guter Letzt setzt noch für die letzten paar Kilometer ein neuer Gewitterschauer ein. Völlig durchnäßt kann ich zum Glück sofort in die Dusche springen. 

In der mit ca. 350.000 Einwohnern achtgrößten Stadt Polens ist in Bromberg (oder für Scrabble Fans : Bydgoszcz)  echt was los. Es reihen sich Kneipe an Restaurant an Club. Viele junge Leute sind unterwegs. Und mein Appartment ist mittendrin! Sorry lieber Bauernhof, dass ich storniert habe. Aber der Gewitterregen zum Schluss war bestimmt die gerechte Strafe. 

 

 

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Kommentare

Christof Lause
Vor 3 Jahr

Hallo Markus,
ich lese immer mal wieder Deine spannenden und unterhaltsamen Berichte. Letzten Samstag bin ich nach 1400 km wieder in Wesel angekommen.
Hast Du einen passenden Ersatz für die Handtücher als Kopfkissen gefunden?
Eine gute Zeit,
Christof alias Christian ;-)