Bevor ein Tag Pause in Breslau ansteht, muss noch mal eine herausfordernde Etappe bewältigt werden. Da es keine andere Einteilung gibt, stehen 125km auf dem Programm. Die wollen gut eingeteilt sein, denn das sind gut 8 Stunden im Sattel. Und dazu noch die erste Bergetappe in Polen ab Kilometer 80. Es geht hoch bis auf 250 ü.N.N. und in Summe über 700 Höhenmeter. Als ich mir Gedanken darüber mache, erreicht mich eine Nachricht aus der Heimat. Eine 97 jährige hat mit Ihrem Rollator eine 100km Strecke hingelegt und eine unglaubliche Summe an Spenden eingesammelt. Wie motivierend ist das denn? Und ich mache mir Gedanken über mein Vorhaben. Ich finde solche Aktionen großartig und die machen Mut für zukünftige Projekte. Für mich geht es nicht um das was, sondern um das wie. Die Rollator Omi beeindruckt mich!
Bevor ich die erste Pause einlege, mache ich erst mal Kilometer. 75 werden es. Es bleibt Zeit zu philosophieren.
Irgendwie ist eine Fahrradtour wie das Leben. Man muss Entscheidungen treffen, die mal falsch aber meistens richtig sind. Gefühlt zumindest richtig, denn wenn es gut war, ist ja egal wie die Alternative gewesen wäre. Zumindest kann man in dem Glauben bleiben. Es bleibt ja im Leben nicht die Zeit alle Alternativen auszuprobieren und dann entscheiden, welche die beste gewesen wäre. In dem Glauben der völligen Sicherheit kommt man nicht voran.
Zwei Dinge bleiben aber immer richtig : es wird immer alles gut und dafür muss man immer weiter treten. Ob die mögliche Abkürzung wirklich schneller ist, stellt sich meistens erst später heraus. Manchmal läuft es gar nicht oder nur hoch, um dann wieder traumhaft zu werden oder rasend schnell nach dem zuvor mühsam erklommenen Weg hoch. Es wird schlammig, regnerisch, windig, um nachher wieder in der Sonne mit Rückenwind auf einer butterweichen Teerpiste zu fahren. Letztendlich muss es schön sein und dafür fährt man auch gerne mal einen weiteren Weg. Man sagt ja so schnell, der Weg ist das Ziel. Ja, stimmt, aber auch das ankommen.
Auch kann man nicht alles beeinflussen. Es ist magisch wie man einfach auch Glück hat. Eine schwarze Gewitterfront verfolgt mich. Ich fahre einen Bergkamm hoch und es wird stürmisch. Anhalten und Schutz suchen. Nein, es geht weiter. Links und rechts von mir sieht man wie die Wolken ihren Inhalt entleeren. Aber ich fahre wie von einem Schutzschild umgeben weiter und es fällt kein Tropfen. Ich denke nur, wie gut es ist, dass ich nicht 5km weiter links oder rechts fahren muss. Natur ist eben nicht zu bändigen, hier gehört auch Glück dazu. Für mich wird klar, dass halt nichts machen auch nichts bringt. Und das Machen kann so schön sein. . Das alles wird einem klar in 8 Stunden beim Treten
Irgendwann im Wald kommt eine neue Fahrbahnoberfläche hinzu : Schlamm. Ich weiß nicht, ob dem Waldarbeiter ist seinem Fahrzeug bewußt gewesen ist, was er der Hauptverbindung von Danzig nach Pula angetan hat. Manchmal bleibt Platz auf einem schmalen Grad in der Mitte des Weges mit Wasser links und rechts. Den zu treffen, ist schon Kunst. Irgendwann fahre ich einfach durch das Wasser ohne zu wissen, was mich erwartet. Einmal leider unerwartetes und ich sehe quer mit den Rad im Schlammsee. Die Schuhe sind naß und dreckig. Aber irgendwann ist auch das nach einem heftigen Fluchen bestanden.
Nach 100 km muss ich eine 15% Steigung noch. Das geht nur, wenn man in Serpentinen, d.h. Schlangenlinie fährt. Mir macht sowas Spaß und ich freue mich bald aus Polen raus wieder in bergigeres Gelände zu kommen. Das ist irgendwie interessanter wenn auch anstrengend. Oben angekommen wird mit einem Schild an Piotr Gorniak erinnert. Er hält den Rekord aus dem Jahre 2013 die Strecke runter in 37,68 Sekunden geschafft zu haben. Toll, wahrscheinlich wurde der Athlet hier hochgefahren. Beim Runterfahren stoppe ich eine Zeit nicht. Wahrscheinlich würde ich mit einer neuen Bestzeit in 2021 bald dort stehen.
So rollt es dann zum Schluss in Breslau ein. Nicht schön, aber die noch zu überstehende Stecke auf dem Navi tickert munter runter. Angekommen! Mitten in Breslau. Hab bislang nichts wiedererkannt. Hat sich wohl in den letzten über 20 Jahren einiges verändert, als ich das letzte Mal hier war.
Ich stimme mich noch mit Mariusz ab, wie wir morgen den Tag gestalten. Dieser Tag geht zu Ende im Innenhof meiner Appartment Unterkunft. Und Montag heißt es weiter treten. Und ich freu mich jetzt schon drauf. Was eine warme Dusche ausmacht!
Kommentar hinzufügen
Kommentare